Folge 47: A 3709 Von Alzey nach Auschwitz Cordelia Edvardson:„Gebranntes Kind sucht das Feuer“

Die Tochter der Alzeyer Autorin Elisabeth Langgässer, ihr Überleben im KZ Auschwitz als Opfer der Nazis und einer desaströsen Mutterbeziehung

Es ist eines der schlimmsten und meistdiskutierten Dramen in der Literatur des Landes:
Wie Narzissmus und Egoismus, Versponnenheit und mangelnde Empathie der Mutter und die antisemitische Rassenpolitik der Nazis dazu führen, dass die uneheliche Tochter von Elisabeth Langgässer ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert wird; dort als Schreibkraft bei Mengeles Selektionen eingesetzt wird und entgegen aller Wahrscheinlichkeit den Genozid überlebt.

Nach der Befreiung gelangt sie nach Schweden, wo sie eine Familie gründet und Journalistin wird. Erst Jahrzehnte später gelingt ihr in Israel die Identitätsfindung als Jüdin und die Ablösung von der unfähigen Mutter. Und die bei ihrem einzigen Wiedersehen nach dem Krieg 1946 in der Pfalz nichts Einfühlsameres zu tun hatte, als die Tochter ein letztes Mal zu missbrauchen – als Stofflieferantin und Informantin für ihren letzten Roman über eine junge Frau im Konzentrationslager.

In Folge 47 von Podcastliteratur.de erklären Hans Berkessel und Theo Schneider die Biografien von Elisabeth Langgässer und ihrer Tochter Cordelia Edvardson, loten die Gründe des Misslingens der unglückseligen Mutter-Tochter-Beziehung aus, fragen nach Verantwortung und Schuld und lesen erschütternde Passagen aus einem der wichtigsten Opferberichte der deutschen Literatur, – dem Buch „Gebranntes Kind sucht das Feuer“ von Cordelia Edvardson, das 2023 für den Hanser Verlag neu übersetzt und aufgelegt wurde.

Cordelia Edvardson
Gebranntes Kind sucht das Feuer
Roman
Übersetzt aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein
Gebunden 22,00 €

Pressestimmen

„Dieses Buch ist die Wiederentdeckung der Saison […] Was in der als ‚Roman‘ bezeichneten Abrechnung der Holocaust-Überlebenden zu entdecken ist, wäre Stoff für ein antikes Drama. Es handelt vom Verrat einer egozentrischen, wirklichkeitsfremden Dichterin, die, um sich selbst und ihre übrigen Kinder zu schützen, ihre 1929 unehelich geborene Tochter opfert.“ Ulrike Baureithel, Der Tagesspiegel, 04.09.23

„Ein schmales, aber ungemein eindrückliches Buch […] Ein bedeutendes, persönliches und historisches Zeugnis.“ Christoph Schröder, DLF Büchermarkt, 12.09.23

„Cordelia Edvardsons Buch wurde gerühmt, irgendwann war es vergriffen. Neu übersetzt und von Daniel Kehlmanns klarem Nachwort begleitet, kommt es nun wieder zu uns, eine zweite Chance, eine Erschütterung, ein großes Geschenk.“ Giseal Trahms, Literarische Welt, 03.09.23

„Eine Pflichtlektüre.“ Frank Pommer, Die Rheinpfalz, 22.08.23

„Ein großes Holocaust-Zeugnis.“ Oliver Pfohlmann, WDR3, 22.08.23

„Cordelia Edvardsons Buch liegt endlich in einer Neuübersetzung vor und ist dringend zu empfehlen.“ Dieter Gräf, Falter, 21.09.23

Cordelia Edvardson

Cordelia Edvardson wurde 1929 als uneheliche Tochter der aus Alzey stammenden deutschen Schriftstellerin Elisabeth Langgässer und des Staatsrechtlers Hermann Heller in München geboren. Sie wuchs bis 1943 bei ihrer Mutter, der Großmutter und einem Onkel in Berlin auf. 1943 versuchte Elisabeth Langgässer Rassegesetzbestimmungen der Nationalsozialisten zu umgehen und ihre von der Deportation bedrohte Tochter zu schützen, indem sie Cordelia von einem spanischen Ehepaar adoptieren ließ. Die Gestapo drohte jedoch der Tochter an, ihre Mutter und deren Familie zu verfolgen, wenn sie nicht bereit wäre, eine doppelte Staatsbürgerschaft anzunehmen, wodurch sie erneut den geltenden Gesetzen unterworfen war. Schließlich wurde sie nach Theresienstadt und später nach Auschwitz deportiert.

1945 erlebte sie die Befreiung mit und wurde mit einem „Weißen Bus“ nach Schweden gebracht, wo sie bis in die 1970er Jahre lebte und als Journalistin arbeitete. Ihre Mutter erfuhr erst ein Jahr nach Kriegsende durch Bemühungen ihrer rheinhessischen Schriftstellerkollegin Anna Seghers, die Kontakte nach Schweden hatte, dass Cordelia überlebt hatte. Erst 1949 trafen sich beide kurz vor dem Tod der Mutter zum ersten Mal wieder. Während des Jom-Kippur-Krieges zog Cordelia Edvardson nach Israel. Im Herbst 2006 zog sie nach Stockholm zurück.

Für ihr autobiographisches Buch „Gebranntes Kind sucht das Feuer“ erhielt Edvardson den Geschwister-Scholl-Preis. 2001 erhielt sie den Königlichen Preis der Schwedischen Akademie. Im Jahr 2012 starb sie in Stockholm.

Cordelia Edvardson
(C): Peter Engler, CC BY-SA 4.0
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

Elisabeth Langgässer

Elisabeth Langgässer (* 23. Februar 1899; † 25. Juli 1950) war eine deutsche Schriftstellerin. Sie wurde am 23.02.1899 als Tochter des Architekten und Großherzoglichen Baurats Eduard Langgässer in Alzey geboren. Ihr Vater wurde zwar als Jude geboren, konvertierte aber zum Katholizismus um die Mutter Elisabeths – Eugenie Dienst – heiraten zu können. In der Folge wurde auch Elisabeth katholisch getauft. Dass sie einen unehelichen Bruder mütterlicherseits hatte, der nach der Geburt zur Adoption freigegeben wurde, erfuhr Elisabeth erst, als sie zur Zeit des Nationalsozialismus versuchte ihre arische Abstammung nachzuweisen. Ihr zweiter Bruder wurde 1901 geboren. 1909 zog die Familie nach dem Tod des Vaters nach Darmstadt, wo Elisabeth die Viktoria-Schule besuchte an der sie 1918 das Abitur machte. Während des Ersten Weltkriegs versuchte sie sich dann erstmals als Schriftstellerin.

Nach ihrem Abitur begann Elisabeth eine einjährige pädagogische Ausbildung in Seligenstadt und Griesheim bei Darmstadt. 1920 veröffentlichte die katholische Zeitschrift „Heiliges Feuer, Monatshefte für naturgemäße deutsch-völkische und christliche Kultur“ erstmals Gedichte von ihr. Im gleichen Jahr arbeitete sie in einer Schulverwalterstelle in Klein-Steinheim, bevor sie ein Jahr später in Seligenstadt als Lehrerin eingestellt wurde. Schon 1922 wechselte sie nach Griesheim. Neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin arbeitete sie nebenberuflich bei der „Rhein-Mainischen Volkszeitung“.

Einen Wendepunkt in ihrer beruflichen Laufbahn stellte die Begegnung mit dem jüdischen Staatswissenschaftlicher Professor Hermann Heller dar. Als Elisabeth nach einer gemeinsamen Liebesnacht schwanger wurde, schied sie aus dem hessischen Staatsdienst aus. Da Heller jedoch verheiratet war musste sie ihr Tochter Cordelia, die am 1. Januar 1929 geboren wurde, alleine aufziehen. Im gleichen Jahr siedelte die alleinerziehende Mutter zusammen mit ihrem Kind nach Berlin über, wo sieh mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder zusammen wohnte. Bereits 1929/30 arbeitete sie wieder. Diesmal als Dozentin an der Sozialen Frauenschule in Berlin, wo sie nach ihrem Ausscheiden als freie Schriftstellerin auch ihren Wohnsitz nahm. Von 1929 bis 1932 arbeitete sie zusätzlich für die Zeitschrift „Die Kolonne“. Am 26. Juli 1935 heiratete sie Wilhelm Hoffman, mit dem sie gemeinsam im Eichkamp 33 im Stadtviertel Berlin-Grundwald wohnte. Nach den Nürnberger Rassegesetzen vom 15. September 1935 wurde ihr als Halbjüdin 1936 schließlich von der Reichsschrifttumskammer ihre schriftstellerische Tätigkeit verboten. 1938 kam ihre zweite Tochter Anette zur Welt, zwei Jahre später bekam sie mit Babara ihr drittes Kind.

Im gleichen Jahr galt ihre erste Tochter Cordelia bei den Nationalsozialisten mit drei jüdischen Großeltern als „volljüdisch“. Als Konsequenz musste sie ab 1941 den Judenstern tragen und ihr Elternhaus verlassen. 1942 bekam Elisabeth ihre vierte Tochter Franziska. Kurz danach erkrankte sie allerdings an multipler Sklerose. Um Cordelia zu schützen wurde versucht, sie durch ein spanisches Ehepaar adoptieren zu lassen, um ihr zu einem spanischen Pass zu verhelfen. Dieses Unterfangen scheiterte jedoch und Cordelia wurde bei der Gestapo vorgeladen und anschließend zunächst in einem jüdischen Krankenhaus untergebracht. Von dort aus wurde sie 1944 vorerst im Konzentrationslager Theresienstadt, hiernach in Auschwitz untergebracht. Elisabeth selbst wurde ab 1944 als Fabrikarbeiterin zwangsdienstverpflichtet. Am 21. März 1945 wurde die Familie Hoffmann in Berlin ausgebombt und lebte in der Folge bis zum Kriegsende in einem Gartenbunker. Ein Jahr nach Kriegsende erfuhr Elisabeth, dass Cordelia die Konzentrationslager überlebt hatte und sich gegenwärtig in Schweden aufhielt. In der Folge übersiedelte Elisabeth mit ihrer Familie nach Rheinzabern bis sie 1950 in die Mainzer Akademie der Wissenschaften und Literatur gewählt wurde. Es folgten Lesereisen nach Fribourg und Zürich. Im Anschluss an diese Reisen überfiel sie jedoch erneut ein Schub multipler Sklerose. Am 25. Juli 1950 starb sie schließlich in einem Karlsruher Krankenhaus. Ihr Leichnam wurde am 28. Juli auf dem alten Friedhof in Darmstadt beigesetzt. Posthum bekam sie den Georg-Büchner-Preis verliehen

Verfasser: Christian Engeroff
Redaktionelle Bearbeitung: Nathalie Rau

Verwendete Literatur:
• Hilzinger, Sonja: Elisabeth Langgässer. Eine Biographie. Berlin 2009.
• Hetmann, Frederik: Elisabeth Langgässer. Literatur und Landschaft. Ingelheim 2004 (= Köpfe der Region, Bd. 3).
• Hetmann, Frederik: Schlafe, meine Rose. Die Lebensgeschichte der Elisabeth Langgässer. Weinheim 1999.
• Müller, Karlheinz: Elisabeth Langgässer. Eine biographische Skizze. Darmstadt 1990 (= Hessische Beiträge zur deutschen Literatur).
• Rüdiger Frommholz: Langgässer, Elisabeth. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 13. Berlin 1982, S. 596–599.

Erstellt am: 17.03.2014

Elisabeth Langgässer
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