Im vorigen Jahr erschien im CH Beck Verlag ein lange vorbereitetes Mammutprojekt: Die größte und umfassendste Anthologie spanischsprachiger Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart. Eine Kassette mit vier Bänden, eine Pionierarbeit, die auf über 2.500 Seiten die Höhepunkte der Poesie vom mittelalterlichen Al Andalus bis zu den Ländern Lateinamerikas präsentiert. Jeweils im spanischen Original und in deutscher Übersetzung, versehen mit ausführlichen Einführungen in Epochen und mit Kommentaren und biografischen Angaben zu den Autoren.
Das ist für Podcastliteratur ein Anlass, um in mehreren Folgen die Geschichte der spanischsprachigen Lyrik in der alten und neuen Welt zu skizzieren und ihre schönsten Gedichte vorzustellen.
Dies unternehmen Prof. Dr. Ulrich Winter, der an der Uni Marburg Romanistik lehrt, und Theo Schneider in Lesung und Gespräch. Aber alles andere als langweilig akademisch. Was schon der erste Teil der Serie beweist: Denn die ersten Gedichte der spanischen Lyrik sind gar nicht in Spanisch, sondern in Arabisch und Hebräisch verfasst. Und das allererste wäre heute nicht nur in streng-rückschrittlichen muslimischen Ländern ein todeswürdiger Skandal: Denn der arabisch-islamische Autor trinkt Wein in einer christlichen Kneipe und sein sexuelles Begehren ist bi, gleichzeitig homo- und heterosexuell.
Später vereinigen sich die christlichen Mystiker so in-brünstig mit Gott wie die Queercommunity im Darkroom. Und die Rebellinnen in Renaissance und Barock lesen den Machos im 16. und 17. Jahrhundert so taff, knallhart und saukomisch die Leviten als hätten ihre Texte vergangene Woche in der EMMA gestanden.
Ulrich Winter
Ulrich Winter (*1964) ist bei Ludwigshafen/Rh. aufgewachsen, hat in Heidelberg und Santiago de Compostela Germanistik und Romanistik studiert und lehrt seit 2003 Romanische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Er hat Bücher und Aufsätze u.a. zur kulturellen Aufarbeitung politischer Gewalt in Spanien, Argentinien und Deutschland publiziert. Neuere Publikationen:
– Transiciones democráticas en la Península ibérica y el Cono Sur. Ed. Patrick Eser, Angela Schrott y Ulrich Winter. Frankfurt et al.: Peter Lang 2019
– Cruzar la línea roja. Hacia una arqueología del imaginario comunista ibérico (1930-2016). Ed. Antonio Gómez-López Quiñones y Ulrich Winter. Frankfurt/Madrid: Vervuert-Iberoamericana 2017