Kostprobe: Eine Nanovermessung! Dagmar Leupold: „Dagegen die Elefanten“ Roman

„Herr Harald“ ist die einzige Hauptfigur des neuen Romans von Dagmar Leupold. In dreizehn Kapiteln, die jeweils den Monat benennen, richtet er einen ebenso leisen wie genauen Blick auf ein Lebensjahr des Protagonisten und folgt akribisch seinen kleinsten Handlungen, Gedanken- und Gefühlsregungen. Wir erfahren nichts von ihm aus der Zeit davor oder danach. Nur was in dieser abgegrenzten Zeit und in der abgegrenzten Welt von Herrn Harald aus seiner Sicht geschieht: Wie er als Garderobier im schönsten Theater der Stadt seine Arbeit erledigt, wie er im immer gleichen schrulligen Ablauf sein Leben zu Hause verbringt oder wie er bei Einkäufen und Spaziergängen die Welt von sich fernhält. Bis sie ihn eines Tages mit einer Pistole in einem hängengebliebenen Mantel konfrontiert und eine Katze bei ihm einzieht.

„Es ist eine hohe Kunst aus fast nichts einen Roman zu komponieren, der an Kleinigkeiten, Momentaufnahmen und Kopfgeburten ein Lebensgespinst flicht, weil die Sprache, elegant und abgründig Welten schafft, die im Diesseits und Jenseits liegen.“

Besser als diese Kritik in der FAZ kann man diesen Roman nicht beschreiben, der 2022 auf der Longlist zum deutschen Buchpreis stand. Unaufgeregter, mit begrenzterem Blick lässt sich kaum erzählen. Und doch liest man das Buch mit wachsender Neugier, ja Spannung. Und dies ist vor allem der ungemein genauen Beobachtungsgabe, und mehr noch der eleganten, manchmal leicht aus der Mode gekommenen und, wie ihr Protagonist, leicht aus der Welt gefallen wirkenden Sprachkunst von Dagmar Leupold zu verdanken, hinter deren feiner Ironie sich unmerklich Abgründe auftun.

Hier stellt Ihnen die Autorin selbst in einer kurzen Lesung ihren neuen Roman vor.

Dagmar Leupold „Dagegen die Elefanten“ Roman
Hardcover, 272 Seiten, Verlag Jung und Jung, 2022, 23 Euro

Klappentext

Herr Harald ist der Mann in der Garderobe. Er gehört zum Theater wie der Vorhang, aber niemand kommt seinetwegen, das Rampenlicht ist für andere. Er nimmt den Menschen die Mäntel ab, die Taschen, was immer sie ihm anvertrauen, um für kurze Zeit unbeschwert zu sein, und wartet bis zum Schlussapplaus, das ist sein Einsatz. Doch eines Abends bleibt ein Mantel zurück, und in dem Mantel findet sich eine Pistole. Herr Harald trägt sie nach Hause, nur: Was will er damit tun? Er kann sich schlecht gegen alles zur Wehr setzen, was ihm an der Welt und den Mitmenschen als Zumutung erscheint. Aber vielleicht kann er ihre Aufmerksamkeit auf jemanden lenken, der wie er ein Schattendasein führt: die Frau, die für einen anderen die Noten umblättert und die er aus der Ferne verehrt. Der tragische wie komische Protagonist dieser Geschichte ist ein Held des Alltags, ein Mann in Dienstkleidung, einer, dem es niemand dankt. Und gäbe es die Literatur nicht, wie sollten wir wissen, was für ein Reichtum an Gedanken und Gefühlen, wie viel waches Leben und wehe Sehnsucht sich dahinter verbirgt.

Dagmar Leupold,
Foto: ©Volker-Derlath

Dagmar Leupold

Geboren 1955 in Niederlahnstein.
Studium der Germanistik, Philosophie, Altphilologie in Marburg und Tübingen, Staatsexamen in Germanistik und Philosophie.
1980-1985 Florenz, Redaktionsassistenz am Kunsthistorischen Institut
1985-1990 Graduiertenstudium der Komparatistik an der City University in New York (CUNY), Promotion (phD) 1993.

Lehraufträge, Creative Writing und Dozenturen an den Universitäten:

  • Mainz: 1994
  • München: 1992-1994
  • Bamberg: 1995
  • Leipzig (DLL): 1996/97
  • Kiel (Liliencron-Poetik Dozentur): 2002
  • München: Leitung des Kurses Manuskriptum (zusammen mit Jo Lendle, Dumont Verlag): 2002/03
  • Marburg: 2004 (Sommersemester)
  • 2004-2021 Leitung Studio Literatur und Theater an der Universität Tübingen
  • im Frühjahr 2006 Max–Kade-Dozentur (writer in residence) an der Washington University, St. Louis, USA (Lehrstuhl Prof. Michael Lützeler)
  • Darüber hinaus Leitung verschiedener Text-Werkstätten, u.a.: Textwerk, Seminar für Romanautoren am Münchner Literaturhaus, Kloster Irsee Kunstsommer, Mentorin im Nordkolleg Rendsburg (Begabtenförderung in Zusammenarbeit mit der Arno-Schmidt-Stiftung).

Seit 1985 freie Schriftstellerin und Übersetzerin (aus dem Italienischen und Englischen), u.a. Pavese, Del Giudice, Kleinzahler. Zahlreiche publizistische, poetologische und essayistische Veröffentlichungen in Zeitschriften, Zeitungen, Anthologien.

Literarische Veröffentlichungen (ohne Anthologien)

1988 Wie Treibholz, Gedichte Pfaffenweiler Presse
1992 Edmond. Geschichte einer Sehnsucht, Roman S. Fischer
1994 Die Lust der Frauen auf Seite 13, Gedichte, S. Fischer
1995 Federgewicht, Roman S. Fischer
1996 Destillate (Kurzprosa und Lyrik) S. Fischer
1999 Ende der Saison, Roman S. Fischer
2001 Byrons Feldbett, Gedichte S. Fischer
2002 Eden Plaza, Roman C.H.Beck
2004 Nach den Kriegen, Roman eines Lebens C.H.Beck
2005 Alphabet zu Fuß, Essays C.H. Beck
2007 Grüner Engel, blaues Land Roman C.H. Beck
2009 Die Helligkeit der Nacht. Ein Journal Roman C.H. Beck
2013 Unter der Hand Roman Verlag Jung und Jung
2016 Die Witwen. Ein Abenteuerroman Verlag Jung und Jung
2019 LAVINIA Roman Verlag Jung und Jung
2022 Dagegen die Elefanten! Roman Verlag Jung und Jung

Auszeichnungen (u.a.)

Aspekte Preis für das beste Prosadebut (Edmond. Geschichte einer Sehnsucht)
Bayerischer Literaturförderpreis
Montblanc Preis für kurze Geschichten
Martha-Saalfeld-Förderpreis
Georg-K.-Glaser Preis
Longlist Deutscher Buchpreis 2013 „Unter der Hand“
Tukan-Preis der Stadt München
Longlist Deutscher Buchpreis 2016 „Die Witwen. Ein Abenteuerroman“

1999 – 2001 Mitglied des Kuratoriums des deutschen Literaturfonds e.V.
2001- 2014 Geschäftsführendes Vorstandsmitglied

Mitglied des P.E.N. und des VS