In den Sanden bei Mauer fand man 1907 den Unterkiefer des „Homo Heidelbergensis“. Offenbar sieht sich, halb spöttisch, halb selbstironisch, auch Michael Buselmeier als ein Fossil, ein Relikt, ein Überbleibsel aus Heidelberger Urzeiten. Was ja auch stimmt: Als Rebell und Anführer der Studentenrevolte, als Romancier („Der Untergang von Heidelberg“), als Dichter in der langen Reihe von Literaturgrößen in „der Vaterlandsstädte schönster“, als Heimatforscher und Autor von Stadtgeschichte(n), als prominenter Stadtführer.
Tempi passati!
Hingebungsvoll pflegte Michael Buselmeier in Eichendorffs Kühlem Grund seine im Lethe-Fluss ertrinkende Frau (was ich nicht erwähnen würde, hätte er nicht selbst ein Buch darüber geschrieben: „Elisabeth: Ein Abschied“) und treibt selbst in den Erinnerungsströmen seiner Gedanken und Gefühle. Wenn wir, seine Leser, vielleicht erwartet hatten, dass diese „letzten Gedichte“ voll selbstmitleidvoller Schwanengesänge, ersterbender Seufzer und stammelndem Verstummen sind, werden wir aufs Schönste überrascht von einer kraftvollen, bilderstarken, sehnsüchtigen, melodischen Poesie.
Vielleicht sogar, wie H.C. Buch in seiner Kritik in der FAZ schrieb, von „Buselmeiers bestem Buch“.
Kerstin Bachtler serviert Ihnen die Kostprobe aus Michael Buselmeiers letzten Gedichten „In den Sanden bei Mauer“.
Michael Buselmeiers „letzte Gedichte“ sind während der vergangenen fünf Jahre entstanden. Der Autor spricht darin von sich häufenden Abschieden, dem Verlust naher Gefährten, letzten Reisen und Ausflügen, Erinnerungen an Kindheit und Jugend. Es gibt z.B. ein Gedicht über den armen Hölderlin, 1802 zu Fuß unterwegs in Frankreich; einen lyrischen Zyklus im Gedenken an Arnfrid Astel, Poeme zum Tod von Günter Herburger, Wulf Kirsten, Oleg Jurjew, Michael Braun und Werner Laubscher Andere Texte wenden sich existentiell bedeutsamen Orten und Landschaften zu, so das umfangreiche Titelgedicht „In den Sanden bei Mauer“. Es folgen Erfahrungen eines missbrauchten Kindes in der Kriegs- und Nachkriegszeit, das erste Worte und Bilder in die Wand des Bombentrichters ritzt. Schließlich Apokalyptisches, Krankheiten und „das fiese Alter“. Der störrische Greis will „allein sterben“.
Buselmeiers Gedichte sprechen von „Abwesendem“ und machen es mithilfe der Sprache „anwesend“, wobei man das Grollen der Geschichte zu hören meint. Der Widerstand gegen das alltägliche Gerede manifestiert sich in einer poetischen Sprache, in ihrer Vieldeutigkeit, ihrer autobiographischen Fundierung, ihrem radikalen Dissens: „schroff aufgebrochener Boden wandernde Ränder“.
Michael Buselmeier
Michael Buselmeier wurde 1936 in Berlin geboren und wuchs in Heidelberg auf, wo er, mit kürzeren Unterbrechungen, heute lebt. Und zu einer Mischung aus Markenzeichen, „Ex-68er Sponti-Häuptling, Renegat“ (M.B.) und buntem Hund der Stadt wurde, dessen 80. Geburtstag mit Bürgermeister und vielen Ehrengästen aus Literatur und Kultur im Alten Rathaus gefeiert wurde.
Er machte eine Ausbildung als Schauspieler und war Regieassistent (u.a. bei Hansgünther Heyme), studierte Germanistik und Kunstgeschichte und hatte anschließend Lehraufträge für Medientheorie und Literaturwissenschaft. In den Jahren der Studentenrevolte galt Michael Buselmeier als „Spontihäuptling“ der Heidelberger 68er Szene, der allerdings schon früh die Dummheiten und Übertreibungen der Linken kritisierte. Seit 1988 bot er vielgerühmte geistesgeschichtliche und literarische Spaziergänge in Heidelberg an, die auch publizistisch ihren Niederschlag fanden.
Michael Buselmeier hat, wenn ich richtig gezählt habe, 6 Gedichtbände, 3 Romane (u.a. „Der Untergang von Heidelberg“ und „Schoppe“, die in Heidelberg und Edenkoben spielen), 2 Erzählbände und 11 weitere Bücher geschrieben. Er erhielt u.a. den „Ben-Witter-Preis“ der ZEIT und den „Gustav-Regler-Preis“ des SR, sein Roman „Wunsiedel“ kam auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis.
Michael Buselmeier verbindet eine langjährige Beziehung zur Pfalz – vermittelt durch das Künstlerhaus des Landes in Edenkoben und den früheren Wohnort der Familie seiner Frau.