„Die unterschiedlichen Formen der Phantasie. Tagebuch 1966-1994“
Ror Wolf passt in keine Schublade, noch nicht einmal in eine Schublade, die „Ror Wolf“ heißt.
Seine Romane, seine Prosa, seine Gedichte und Radioarbeiten sind experimentierfreudige, aber dennoch (oder deshalb?) gut lesbare und unterhaltsame Texte. Beeinflusst von Surrealismus, Dadaismus, Nouveau roman, absurdem Theater ebenso wie von Kafka oder Peter Weiß entwickeln sie einen ganz eigenen, unverwechselbaren Ton. Der sich vielleicht am ehesten als lustvoll-spielerische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und ihren Worten beschreiben ließe. Postmodern formuliert: Ror Wolf war einer der genialsten Dekonstrukteure der deutschen Literatur in den vergangenen fünfzig Jahren. Oder ganz einfach: Er war ein Anarchist der Sprache.
Als das Kind eines Freundes einmal bei einem Spaziergang an einem ausgeweideten Reh vorbei kam, dessen Fell abgezogen war, rief es aus: „Oh, schau mal Papa, wie es da drunter aussieht!“ Wie es bei Ror Wolf „da drunter“ aussah vermitteln seine Tagebuchnotizen von 1966-1994, die vor kurzem im Frankfurter Verlag Schöffling unter dem Titel „Die unterschiedlichen Folgen der Phantasie“ erschienen.
Eine Kostprobe von Michael Braun für Podcastliteratur.
Im Nachlass von Ror Wolf fand sich nicht die lange avisierte Autobiographie, hingegen ein Konvolut unveröffentlichter Tagebücher aus den Jahren 1966 bis 1994. Ror Wolf schont, wie erwartet, weder sich selbst noch seine Mitmenschen, er schreibt offen und rückhaltlos über sich, über Kollegen, Freunde und Feinde, über seine Verleger, seine Redakteure und den Literaturbetrieb.
Die Leser erfahren viel über die sich entwickelnde Laufbahn, erhalten Einblick in Arbeitszusammenhänge, in Erfolge und vermeintliche Niederlagen, erleben aus nächster Nähe den Weg eines der eigenwilligsten und phantasiereichsten Schriftsteller der letzten Jahrzehnte. Diese unveröffentlichten Texte ergänzen das in der Werkausgabe RWW vorliegende Gesamtwerk um bedeutende Aspekte und geben Auskunft über das Leben und den Arbeitsalltag eines der großen Autoren unserer Literatur.
Rezensionen
»[Wolf] beschreibt sein Dahinleben mit einer Mischung aus Schonungslosigkeit, Verwunderung und Humor, die sich nur die wirklich talentierten Schriftsteller trauen.«
Kay Sokolowsky, Konkret Magazin
»Die subtile Grotesk-Komik, die Wolfs Werke auszeichnet, findet sich auch in seinen Tagebüchern […].«
Wolfgang Schneider, Deutschlandfunk
»Die Tagebücher sind ein bewegendes Dokument eines langen Kampfes um Anerkennung, sie erzählen deutsche Literaturgeschichte.«
Claus-Jürgen Göpfert, Frankfurter Rundschau
»Reizvoll sind die biografischen Schlaglichter auf einen Autor, der sonst dazu neigte, seine Lebensspuren zu verwischen.«
Wolfgang Schneider, Der Tagesspiegel
Ror Wolf
Ror Wolf wurde 1932 in Saalfeld/Thüringen geboren und ging 1953 in den Westen. Er studierte Literaturwissenschaft, Soziologie und Philosophie, war Literaturredakteur beim HR und arbeitete ab 1963 als freier Schriftsteller. Nach zahllosen Umzügen lebte Ror Wolf seit 1990 in Mainz, wo er 2020 starb.
Er schrieb Romane, Prosatexte, Hörspiele, Radiocollagen und Gedichte. Als bildender Künstler verfasste er surrealistische Collagen, teilweise mit Texten ergänzt, die ebenfalls in mehreren Bänden veröffentlicht wurden.