Folge 36: Warum ich in diesem Universum bin? Um es aufzuschreiben!
Thomas Lehr über seinen neuen Roman „Manfred“, sein Schreiben und seinen 66. Geburtstag.

Er ist einer der großen Erzähler der Welt: Thomas Lehr, 1957 in Speyer geboren, lebt und arbeitet schon lange in Berlin, hat 10 Bücher geschrieben, sieben davon sind Romane.

Und keiner dieser Romane ist wie der andere. Immer sind ihre Themen und ihre Formen ganz verschieden. Thomas Lehr wählt für jedes neue Buch ein anderes Genre aus: Von der Satire über den Abenteuerroman, vom soziologischen Experiment zum großen Dialog, vom Nachdenken über Wissenschaft und Philosophie zur Sciencefiction. Jeder Roman ist wie eine große, vielstimmige, komplex komponierte Sinfonie. Und immer baut er formal-dramaturgische Widerstände ein: Mal steht die Welt still, mal gibt es keine Satzzeichen, mal wird eine Geschichte rückwärts erzählt, mal sind es rhapsodische Gedankenströme voller Metaphern und Bilder.
Keine leichte Literatur, die man nebenbei in der Badewanne lesen kann. Aber sie ist auch nicht schwierig. Eher ist es wie in einem Konzert: Sie beansprucht unsere ganze Konzentration, die gleichzeitige Aufmerksamkeit von Sinn und Sinnlichkeit.

In seinem neuen Roman „Manfred“ nistet sich der Agent einer weit entfernten, weit überlegenen außerirdischen Zivilisation im Kopf eines ziemlich mittelmäßigen Menschen unserer Welt ein. Mit sanften Manipulationen verschafft er ihm Geld, Wissen und passables Aussehen. Er benutzt ihn gewissermaßen wie ein Reittier, um sich menschlichen Genies zu nähern, deren Intelligenz und Kreativität, diese außerirdische Zivilisation zu entdecken droht. Doch der Blick dieses außerirdischen Erzählers (und damit der Blick des Romans) gilt nicht fremden und fernen Zivilisationen, sondern unserer hiesigen Welt in Gegenwart und Geschichte: Sciencefiction als Satire auf die wirkliche Welt!

In Folge 36 von Podcastliteratur.de erläutert Thomas Lehr im Gespräch mit Theo Schneider die Entstehung und Absichten seines neuen Romans, verrät einige Geheimnisse aus seiner Schreibwerkstatt und den Sinn seines Lebens als Autor:
„Als Künstler muss man auf irgendeine Art ein Außerirdischer sein, der die Verhältnisse auf der Erde beschreibt.“
„Wenn ich schreibe, bin ich im Gleichgewicht mit meiner Welt. Das ist es, wofür ich da bin.“
„Warum ich in diesem Universum bin: Um es aufzuschreiben!“

Hanser Verlag 2023 Hardcover 26,00 Euro

Thomas Lehr

Thomas Lehr wurde am 22.11.1957 in Speyer geboren. Er besuchte Gymnasien in Speyer und Ludwigshafen und machte dann schließlich sein Abitur in Ludwigshafen. Seit 1979 lebt er in Berlin. Nach einem Studium der Biochemie / Naturwissenschaften an der FU, arbeitete er längere Zeit als Systemverwalter und Programmierer in der Datenverarbeitung einer wissenschaftlichen Bibliothek der FU-Berlin. Seit 1999 ist er ausschließlich freier Schriftsteller.

Thomas Lehr: Foto (c) D. Kern

Werke

Zweiwasser oder Die Bibliothek der Gnade. Roman, Rütten und Loening, Berlin 1993, Neuauflage Hanser, München 2014
Die Erhörung. Roman, Aufbau, Berlin 1995, Neuauflage Hanser, München 2011
Nabokovs Katze. Roman, Aufbau, Berlin 1999, Neuauflage Hanser, München 2016
Frühling. Novelle, Aufbau, Berlin 2001, Neuauflage Hanser, München 2019
Roman, Aufbau, Berlin 2005, Neuauflage Hanser, München 2013
Tixi Tigerhai und das Geheimnis der Osterinsel. Aufbau, Berlin 2008, (keine Neuauflage)
September. Fata Morgana. Roman, Hanser, München 2010, (Erstausgabe)
Größenwahn passt in die kleinste Hütte, Kurze Prozesse, Hanser München 2012, (Erstausgabe)
Schlafende Sonne. Hanser, München 2017, (Erstausgabe)
Manfred. Bekenntnisse eines Außerirdischen. Roman, Hanser, München 2023

Würdigungen

1994 Rauriser Literaturpreis für die beste deutschsprachige Erstveröffentlichung
1993,1999,2001 „Buch des Jahres“ des Förderkreises rheinland-pfälzischer Schriftsteller
1995 Mara-Cassens-Preis des Literaturhauses Hamburg für den besten ersten Roman
1996 Förderpreis Literatur zum Kunstpreis Berlin der Berliner Akademie der Künste
1996 Literaturpreis des Bezirksverbandes Rheinland Pfalz, 1996
1998 Stipendium des Künstlerhauses Wiepersdorf
1999 Rheingau Literatur Preis
1999 Marta Saalfeld Förderpreis des Landes Rheinland Pfalz
2000 Wolfgang-Koeppen-Preis der Hansestadt Greifswald
2002 Georg-K-Glaser Preis des Landes Rheinland Pfalz und des SWR
2006 Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz
2011 Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung in Verbindung mit der Heiner-Müller-Gastprofessur für deutschsprachige Poetik an der FU Berlin
2011/2012 Stadtschreiber von Bergen-Enkheim
2012 Marie-Luise-Kaschnitzpreis
2015 Joseph-Breitbach-Preis
2018 Bremer Literaturpreis
2018 Spycher Literaturpreis Leuk
2018 Kranichsteiner Literaturpreis

Mitglied der Berliner Akademie der Künste
Mitglied der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur
Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung

Mitglied des Deutschen PEN