Kostprobe: Daniela Dröscher: „Lügen über meine Mutter“. Roman.

Shortlist Deutscher Buchpreis 2022

Die Geschichte einer Kindheit spielt in einem Ort im Hunsrück von 1983 bis 86. Dieser Roman, der offenkundig stark autobiografisch grundiert ist, aber eben auch fiktionalisierte Anteile hat, gehört damit in das (neumodisch formuliert) Spektrum der „Autofiktion“. Unterbrochen wird die Erzählebene der Vergangenheit aus der Perspektive eines 8-10jährigen Mädchens von aktuellen Reflexionen der erwachsenen Erzählerin, in denen sie ihre Rolle als kleines Mädchen, die des Vaters und die der Mutter thematisiert.

Denn das ist das private Leid-Motiv des Buchs: Die Mutter ist dick! Zu dick! Viel zu dick! Sagt der Vater, der sie deshalb mobbt und für alle ausbleibenden Erfolge seiner Karriere verantwortlich macht. Das Kind schaut zu, hört mit, versteht nicht und leidet verstört darunter. Das gesellschaftspolitische Leitmotiv ist die mangelnde Gleichberechtigung der Frauen. Ihre Abhängigkeit vom Mann als Alleinverdiener, der seinen Anspruch definiert, auch der Alleinbestimmer des Geldes, des Haushalts, der Familie, des Lebens der Frau zu sein, die diese Abhängigkeit nicht erträgt.

Kurzum: Das gesellschaftspolitische Drama der Zustände jener Zeit als privates Drama aus der Perspektive eines Kindes.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2022, 448 Seiten, 24,00 €

Daniela Dröscher

Daniela Dröscher schreibt Prosa und Essays. Auf ihr Romandebüt „Die Lichter des George Psalmanazar“ (2009) folgten der Erzählband „Gloria“ (2010), der Roman „Pola“(2012; alle Berlin Verlag) sowie 2018 ihr Memoir „Zeige deine Klasse“ bei Hoffmann & Campe. 2022 erschien bei Kiepenheuer & Witsch der Roman „Lügen über meine Mutter“, mit dem sie für den Deutschen Buchpreis (Shortlist) nominiert wurde.

Für ihr Schreiben wurde sie u.a. mit dem Anna-Seghers-Preis sowie dem Robert-Gernhardt-Preis ausgezeichnet.

Daniela Dröscher – Foto: (c) Carolin Saage